Die große Transformation des Adlers
Eine Legende von den Native Americans
Kennst du die Legende von der großen Transformation des Adlers? Es ist eine Legende von den Indigenas Nordamerikas. Sie besagt, dass der Adler irgendwann in seinem Leben an einen Punkt kommt, wo er sich die alten Federn ausreißen muss, den zu langen Schnabel abschlagen und ebenso die Krallen – damit er weiterleben kann.
Ich habe das Gefühl, dass wir als Menschheit wie auch jede*r einzelne für sich selbst gerade an diesem tiefsten Punkt der Entscheidung stehen: Wählen wir die Erneuerung oder den Tod durch Nichtstun?
Die Legende vom Adler
Der Adler, der König der Lüfte, ist der Vogel mit der längsten Lebenserwartung. Er kann bis zu 20 Jahre alt werden, manche berichten sogar von 40 oder gar 70 Jahren.
In der Mitte seines Lebens etwa sind die Krallen und der Schnabel des Adlers jedoch lang, weich und stumpf geworden und die Flügel kaputt, schmutzig und schwer. So bereitet es ihm immer größere Mühen, zu fliegen und Beute zu fangen. Doch er muss jagen, um sich ernähren und am Leben bleiben zu können.
Daher muss der Adler sich an diesem Punkt entscheiden, so die Legende, einen radikalen Schritt der Veränderung zu gehen, um am Leben bleiben zu können. Tut er dies nicht, ist sein naher Tod gewiss, denn er kann sich nicht mehr versorgen. Er muss sich entscheiden, durch einen sehr schmerzhaften Prozess der Transformation zu gehen – oder bald zu sterben.
Wenn er weiterleben möchte, fliegt er zurück in sein Nest hoch oben in den Bergen und unterzieht sich in der Einsamkeit dieser schmerzhaften Transformation. Dieser tiefgehende Prozess dauert einige Monate.
Zunächst schlägt der Adler seinen viel zu lang gewordenen Schnabel so lange und fest an einen Felsen, bis er abbricht. Dann wetzt er ihn so lange am Stein, bis er wieder scharf ist. Auch seine Krallen bearbeitet er so lange am Stein, bis sie wieder kurz und scharf sind.
Wenn sich Schnabel und Krallen regeneriert haben, reißt der Adler sich seine alten Federn aus, die kaputt und schwer geworden sind. Das ist ein langer Prozess, der der Adler besitzt etwa 7.000 Federn. Es wachsen neue Fendern nach, die er nun gut pflegen muss. Er zieht sie täglich durch seinen Schnabel, an dem sich Öldrüsen befinden. Das Öl pflegt und schützt die Federn, hält sie elastisch und macht sie wasserabweisend.
Wenn alles nachgewachsen und erneuert ist, erhebt sich der Adler wieder in die Lüft und lebt nochmals so lange wie bisher.
Durch schmerzhafte Prozesse gehen
Diese schmerzhaften Prozesse der Erneuerung sehen bei jedem Menschen anders aus. Manchmal geht es darum, die Vergangenheit endlich anzuschauen und sich den verdrängten Schmerzen zu stellen. Bei anderen ist ein radikaler Schnitt des Abschieds nötig – von der Familie, dem falschen Beruf, der Auszug der Kinder, Abschied von den Eltern, Beendigung einer unglücklichen Ehe usw. …
Auch gesellschaftlich müssen wir alles mit Adleraugen anschauen, was dem Leben nicht (mehr) dient und uns als Menschheit verhungern lässt.
Immer geht es darum, dass wir uns entscheiden müssen, den (vermeintlich) angenehmeren Weg zu wählen, der aber in Wahrheit ein schleichender Sterbeprozess ist und direkt in den Tod führt. Oder den schmerzhaften Weg der Transformation zu gehen, der jedoch immer auch größtes Wachstum und neues Leben mit sich bringt …
Alles Liebe
Karin Myria
(Text: kmp, Foto: pixabay)