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Der Indianer und die Grille

Ein Indianer, der in einem Reservat weit von der nächsten Stadt entfernt wohnte, besuchte das erste Mal seinen weißen Bruder in der Großstadt.

Er war sehr verwirrt vom vielen Lärm, von der Hektik und vom Gestank in den Straßenschluchten. Als sie nun durch die Einkaufsstraße mit den großen Schaufenstern spazierten, blieb der Indianer plötzlich stehen und horchte auf.

„Was hast du“, fragte ihn sein Freund.

„Ich höre irgendwo eine Grille zirpen“, antwortete der Indianer.

„Das ist unmöglich“, lachte der Weiße. „Erstens gibt es hier in der Stadt keine Grillen und zweitens würde ihr Geräusch in diesem Lärm untergehen.“

Der Indianer ließ sich jedoch nicht beirren und folgte dem Zirpen. Sie kamen zu einem älteren Haus, dessen Wand ganz mit Efeu überwachsen war. Der Indianer teilte die Blätter und tatsächlich: Da saß eine große Grille.

„Ihr Indianer habt eben einfach ein viel besseres Gehör“, sagte der Weiße im Weitergehen.

„Unsinn“, erwiderte sein Freund vom Land. „Ich werde Dir das Gegenteil beweisen.“

Er nahm eine kleine Münze aus seiner Tasche und warf sie auf den Boden. Ein leises „Pling“ ließ sich vernehmen. Selbst einige Passanten, die mehr als zehn Meter entfernt standen, drehten sich augenblicklich um und schauten in die Richtung, aus der sie das Geräusch gehört hatten.

„Siehst Du, mein Freund, es liegt nicht am Gehör. Was wir wahrnehmen können oder nicht liegt ausschließlich an der Richtung unserer Aufmerksamkeit. Was Du hörst, sagt mehr darüber aus, wie Du denkst, als was Dich umgibt.“


(Indianische Weisheit ~ Autor unbekannt; Foto: Pixabay)

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