Der verliebte Stern
Eine Indianische Legende aus Nordamerika von den Chipewyans
Vor langer Zeit gab es einmal einen Streit unter den Sternen.
Ein Stern wurde nach dem Streit aus seiner Heimat im Himmel vertrieben und auf die Erde verbannt. Dieser Stern wanderte von einem Stamm zum nächsten und verweilte oft an deren Lagerfeuern, bis die Leute schlafen gingen. Überall, wohin der Stern kam, betrachteten ihn die Menschen mit Staunen und Furcht. Oft beschien er die Köpfe der Kinder, als wolle er mit ihnen spielen. Doch die Kinder erschraken nur und vertrieben ihn durch ihr Geschrei.
Von allen Menschen auf der Welt hatte nur ein einziger keine Angst vor dem schönen Stern.
Das war ein Mädchen, die Tochter eines Kriegers aus dem Nordland. Sie fürchtete den Stern nicht. Im Gegenteil – sie liebte ihn aus ganzem Herzen und war glücklich mit ihrer Liebe.
Der Stern schien ihre Liebe zu erwidern, denn wo auch immer das Mädchen mit ihrem Vater oder der Familie durch die Wildnis wanderte, wanderte auch der Stern mit. Wenn sie nachts aufwachte, schwebte der Stern direkt über ihrem Kopf. So beständig war er in seiner Wachsamkeit, dass sie niemals die Augen aufschlagen konnte, ohne sein Funkeln zu gewahren.
Die Menschen des Stammes wunderten sich über die Treue des Sterns. Sie wunderten sich um so mehr, als sie sahen, dass der Vater des Mädchens immer mit reichlichem Wild von der Jagd heimkehrte. „Der Stern muss der Sohn des guten Geistes sein“, sagten die Menschen. Und immer sprachen sie von ihm mit Ehrfurcht und Respekt.
Nach einigen Monaten kam der Mittsommer und die Früchte wurden reif. Eines Tages ging das Mädchen alleine in den Wald, um Beeren zu sammeln. Sie entdeckte, dass die Cranberries schon von den Vögeln und den Hirschen gefressen waren. Da sie sah, dass die Preiselbeeren gerade reif wurden, lief sie mit ihrem Weidenkorb in ein großes Moor hinaus.
Doch im Dickicht der Preiselbeeren verirrte sich das Mädchen. Voller Angst rief sie nach ihrem Vater. Doch die einzige Antwort, die sie erhielt, kam von Fröschen und einsamen Rohrdommeln. Selbst als es dämmerte, hatte sie den Weg noch nicht gefunden, und wanderte immer tiefer und tiefer ins pfadlose Dickicht des Sumpfes hinein.
Einmal watete sie bis zu den Knien im Wasser. Ein anderes Mal fiel sie in ein Loch und ertrank fast in dem giftigen Schlamm. Mal sank sie förmlich ein, konnte sich aber befreien.
Als es Nacht wurde, blickte sie zum Himmel auf – in der Hoffnung, den Stern, den sie liebte, zu sehen.
Doch der Himmel war bedeckt mit Wolken und ein Gewitter zog auf. Bald regnete es in Strömen. Zum Entsetzen des Mädchens stieg das Wasser immer höher und schwemmte sie schließlich hinaus in den See. Niemand hat sie jemals wiedergesehen.
Die Jahreszeiten kamen und gingen und es vergingen einige Jahre. Der Stern schien immer noch über den Lagerfeuern der Chipewyans, doch sein Licht wurde trübe und er blieb nie lange an einer Stelle. Es sah immer so aus, als hielte er nach etwas Ausschau, als würde er auf etwas warten, das jedoch nicht kommt. „Er ist unglücklich. Er trauert noch um das Mädchen, das nie wiederkam, und das er so liebte.“, sprachen die Menschen untereinander.
Wieder ging ein Jahr ins Land und der Stern verschwand mit den Herbstblättern. Der Winter, der nun folgte, war hart, kalt und lang. Der nächste Sommer hingegen war der heißeste, den die Chipewyans jemals erlebt hatten.
In genau diesem heißen Sommer folgte eines Abends ein junger Jäger einem Bären in einen der größten Sümpfe im Land der Chipewyans. Zu seinem Erstaunen erblickte er plötzlich ein Licht, das anscheinend über dem Wasser hing. Es war so schön, dass er dem Licht lange folgte, doch führte es ihn zu sehr gefährlichen Stellen, so dass er schließlich aufgab und zurückkehrte, um seinen Leuten zu erzählen, was er gesehen hatte.
Da erklärte ihm der älteste Mann des Stammes: “Das Licht, das du gesehen hast, ist der Stern, der aus dem Himmel vertrieben wurde. Auch jetzt wandert er über die Erde und hält nach dem Mädchen, das er liebte, Ausschau.“ Auch heute noch ist dieser Stern ganz dicht bei der Erde. Oft wird er von Jägern, die nachts durch die Wildnis streifen, gesehen!
(Text: Netzfund, genaue Quelle unbekannt – eventuell von Ella Elizabeth Clark erzählt, Bild: Canva.com Pro)