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Der Garten des alten Mannes

Weisheitsgeschichte von Karin Myria Pickl

Es war einmal ein alter Mann, der hatte ein langes Leben hinter sich und war inzwischen krumm, müde und zerbrechlich geworden. Er ging gebückt an einem Stock und kam nur noch langsam vorwärts.

Doch während andere Menschen in seiner Situation längst aufgegeben und sich auf das Sterben vorbereitet hätten, begann der Mann noch in seinem hohen Alter, hinter seinem Haus einen Garten anzulegen.

Er baute zunächst einen schönen Naturzaun um seinen Garten.

Da kamen die Dorfbewohner neugierig vorbei und fragen ihn: „Mann, warum baust du noch einen Garten? Du bist doch schon so alt.“

Da erwiderte der Mann: „Na und?“

Und baute weiter. Als nächstes grub er die Erde um und lockerte den Boden.

Und wieder kamen die Dorfbewohner und fragen ihn:

„Mann, warum ackerst du noch deinen Garten? Du bist doch schon so alt.“

Da erwiderte der Mann: „Na und?“

Und er machte sich daran, die künftigen Beete abzustecken.

Wieder kamen die Dorfbewohner und fragten ihn:

„Mann, warum steckst du noch Beete ab? Du bist doch schon so alt.“

Da erwiderte der Mann: „Na und?“

Inzwischen war es schon Herbst geworden. Und der alte Mann machte sich daran, Samen in die Erde zu legen.

Wieder kamen die Dorfbewohner und fragten ihn:

„Mann, warum säst du noch? Du bist doch schon so alt und könntest sterben, bevor die Pflanzen im nächsten Jahr wachsen und gedeihen.“

Du ahnst es sicher schon – wieder erwiderte der Mann: „Na und?“

Es kamen der Herbst und der Winter. Der Mann zog sich in sein Häuschen zurück und war draußen nicht mehr zu sehen.

Die Dorfbewohner tuschelten: „Siehst du, nun hat er den nächsten Frühling doch nicht mehr überlebt. Hätte er nur das Arbeiten bleiben lassen.“

Und es wurde Frühling. Das Grün sproß überall wieder aus der Erde, die ersten Blumen blühten auf, Kräuter wuchsen und die Bäume begannen ihre Knospen auszutreiben.

Eines Tages, als es dann endlich richtig warm war, ging der alte Mann wieder nach draußen, setzte sich hinter sein Haus und betrachtete glücklich sein grünes Werk. Üppig wuchsen allerlei Blumen, Kräuter, Gemüse und Früchte in seinem Garten.

Genau in dieser Zeit kamen die Dorfbewohner am Dorfplatz zusammen und berieten, wie sie den alten Mann verabschieden konnten. Denn sicher hatte er den langen Winter nicht überlebt. Sie überlegten einen Plan für eine Feier, mit sie ihn würdig verabschieden konnten.

Sie gingen anschließend gemeinsam zu dem Häuschen und waren erstaunt, den Mann munter dort sitzen und auf seinen schönen Garten schauen zu sehen.

Einer der Leute ging hin und begrüßte den Mann erleichtert.

Da sprach der Mann glücklich: „Seht ihr, es lohnt sich auch in meinem Alter noch, einen Garten anzulegen. Denn im Herzen wächst und gedeiht das Leben, das du im Außen säst. Und das Leben, das du im Außen siehst, wirkt auf dich selbst zurück. Ein Kreislauf, der dich lebendig hält.“

Der Mann lebte noch einen Tag.

Dann schlief er glücklich und zufrieden in seinem schönen Garten ein.


(Autorin: Karin Myria Pickl, (C) 2019, Foto: pixabay)

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